Ein halbes Jahr lang drückte sich der bremische Landtag um die Debatte herum und verschob es von Sitzung zu Sitzung, wie auch die TAZ berichtete. Diese Woche in der 21. Sitzung der Bremischen Bürgerschaft am 27. Januar 2021 steht es nun auf Tagesordnungspunkt 4. Die Debatte kann nachträglich als Video nachverfolgt werden. Einige, die sich das angehört haben, fassten - in Ermangelung des noch nicht vorliegenden Protokolls - ihre ersten Eindrücke zusammen; hier verlinkt. Auslöser war eine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsfraktion: "Die Zukunft der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Bremen?" Die Antwort des Senats liegt seit September vor. (Wir berichteten bereits ausführlich am 15.09.2020)
Über sieben Prozent der deutschen Rüstungsproduktion findet in Bremen statt; es gibt dazu nur grobe Schätzungen. Ca. 5 % der bremischen Wirtschaftsleistung könnten das sein, mit tausenden von Arbeitsplätzen. Das ist für die FDP Anlass genug, diese bedenkliche Entwicklung noch weiter zu fördern. Dem Frieden nützt das sicherlich nicht. Den Profiten der Eigner der Rüstungskonzerne nützt es auf jeden Fall, hat doch das "Corona-Paket" der Bundesregierung Milliarden für den deutschen Rüstungsstandort bereitgestellt, besonders viele Milliarden für Kriegsschiffe. Nicht etwa für Gesundheit sondern für Profite, die mit Toten und Verletzen einhergehen und massive (Umwelt)Zerstörung und Vertreibung von Menschen aus ihren Heimatländern weltweit zur folge haben. In alle Welt gehen bremische Rüstungsgüter, sogar an Länder, die in völkerrechtswidrige Angriffskriege verwickelt sind, z.B. gegen das geschundene Jemen, wo im Gefolge Hungersnöte und hohe Kindersterblichkeit grassieren.
Der Senat muss in seiner Antwort zugestehen, dass es im Rahmen seiner Wirtschaftsförderung doch den sog. "dual use" gibt, also "zivil" nicht immer nur zivil ist, sondern gleichzeitig auch genausogut militärisch genutzt wird. Der Senat drückt sich in seiner Antwort um eine klare Stellungnahme zum offensichtlichen Widerspruch zwischen der proklamierten Handlungsorientierung „Humanität“, „Völkerverständigung“ und „friedliche Entwicklung der Welt“ und der Bremer Realität herum. In Bremen entwickeln und produzieren die Firmen Rheinmetall Electronic, Atlas Electronic, Airbus Defense und Space, OHB und Lürssen u.a. Waffen und Kriegsgeräte (viele davon auch für den Export), die das Gegenteil von Befriedung und Stabilisierung in Spannungsgebieten bewirken. Dies gilt
• für militärische Auslandseinsätze und Export bestimmte Kampf- und Transportflugzeuge oder deren Teile in der Airbus Group und Premium Aerotec (Teile des Militärtransporters A400M und des Eurofighters). Airbus Defender und Space gehören zu den führenden Zentren der zivilen und militärischen Luftfahrtindustrie in Deutschland;
• für militärische und geheimdienstliche Auslandseinsätze und Export bestimmte Raumfahrtprodukte (Raketen, Satelliten, Weltraumrobotik) bei OHB, in der Ariane Group und bei Premium Aerotec. Seit OHB sich am SARah-Programm zur Weltraumaufklärung der Bundeswehr beteiligt, gehört der Konzern zu einem Unternehmen mit militärischen Anteilen. OHB ist auch involviert an Planungen für einen „Weltraumbahnhof“ in Nordholz und/oder in der Nordsee;
• für militärische Auslandseinsätze und Export bestimmte Sensorik, Steuerung und Torpedos bei ATLAS ELEKTRONIK GmbH und Rheinmetall Electronics GmbH. Rheinmetall Electronics liefert Missionsausstattungen sowie Ausbildungs- und Trainingslösungen an Streitkräfte. Das Systemspektrum umfasst automatische Zielerfassungssysteme, Laserzielsysteme, Simulatoren für Kampfflugzeuge, Gefechtsübungszentren;
• für militärische Auslandseinsätze und Export bestimmte Kriegsschiffproduktion oder deren Teile in der Friedrich Lürssen Werft GmbH & Co. KG; Lürssen hat die Führungsrolle im deutschen Marine-Werftenverbund übernommen. Die geplante Aufrüstung der deutschen Bundesmarine mit weltumspannenden Einsatzmöglichkeiten ist ein fatales Signal für noch mehr Auslandseinsätze. Die vier Fregatten (F 125), die fünf Korvetten (K 130), aktuell sind fünf weitere Neubauten dieses Typs im Gespräch, und die sechs „Mehrzweckkampfschiffe“ (MKS 180) sind zum Großteil für kommende Auslandseinsätze konzipiert. Dem Jahresbericht 2019 des Marinekommandos ist zu entnehmen, dass die „Mehrzweckkampfschiffe" für den weltweiten Einsatz zur „dreidimensionalen Seekriegsführung" (Ziele unter Wasser, auf dem Wasser und in der Luft) vorgesehen sind.
Die Umstellung von Rüstungs- auf Zivilproduktion, der ökologischen Nachhaltigkeit verpflichtet, gehört weiterhin auf die Tagesordnung.
Die Sorge der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie um ihre Arbeitsplätze ist nachzuvollziehen, doch könnten die Bremer Betriebe durchaus Alternativen entwickeln, wenn sie und die Politik das wirklich wollten und die Corona-Pakete statt auf Kriegsvorbereitung auf friedenssichernde Konversionsinvestitionen setzen würden. Das wäre nachhaltig und zukunftssichernd. Zusammen mit den Beschäftigten und ihren Betriebsräten, mit Wissenschaftlern der Universität, sollte die Rüstungskonversionsinitiative des Bremer Senats, die ab 1991 gestartet wurde, wieder angegangen werden. So würde der Präambel der Bremer Regierungskoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke für 2019 bis 2023 glaubhaftes Leben eingehaucht werden: "Unser Handeln orientiert sich an Humanität. Wir setzen uns mit unseren Möglichkeiten für Völkerverständigung und für die friedliche Entwicklung der Welt ein. Dazu gehört auch ein Verbot von Rüstungsexporten in Krisengebiete."